Interview
Kaum Informationen für Selbstständige
»Mir wurde in Beratungsstellen oft erklärt, wie es für Angestellte läuft, aber kaum, was für Selbstständige gilt.«
Lisa Schlereth, Hörakustikmeisterin in Südwestfalen
Gemeinsam mit einer Geschäftspartnerin führt Lisa Schlereth seit über drei Jahren ein kleines Unternehmen mit mehreren Mitarbeitenden und Auszubildenden. Ihr Betrieb steht beispielhaft für viele kleine Handwerksunternehmen, in denen persönliche Verantwortung, Fachkenntnis und Kundennähe eng miteinander verbunden sind. Frau Schlereth sieht in der Selbstständigkeit einerseits Chancen, wie etwa Flexibilität und Eigenverantwortung, zugleich aber auch erhebliche Risiken. Anders als Angestellte verfügen Selbstständige über keinen gesetzlichen Mutterschutz, keine Lohnfortzahlung und meist auch keine ausreichende Beratung über mögliche Absicherungen. In unserem Interview merkt sie an, dass viele Frauen erst in der Schwangerschaft erfahren, welche finanziellen Lücken bestehen. Diese Unsicherheit führt nach ihrer Beobachtung häufig dazu, dass sich Frauen erst nach der Familienphase selbstständig machen.
In ihrem eigenen Fall profitiert Frau Schlereth von der Unternehmensform mit zwei gleichberechtigten Inhaberinnen. Sollte sie schwanger werden, könnte die Kollegin den Betrieb fortführen, während sie sich teilweise zurückzieht. Allein wäre eine Schwangerschaft aus ihrer Sicht kaum zu stemmen. Sie plant, während einer möglichen Schwangerschaft so lange wie möglich zu arbeiten und nach der Geburt zeitnah – zunächst in Teilzeit – wieder in den Betrieb zurückzukehren. Ihre Motivation ist sowohl beruflicher Natur als auch wirtschaftlich begründet: Ein längerer Ausfall würde sich unmittelbar auf den Umsatz und die Stabilität des Betriebs auswirken.
Warum ist Ihnen das Thema Mutterschutz und Selbstständigkeit wichtig?
Lisa Schlereth:
»Ich habe mich früh mit dem Thema beschäftigt, weil ich weiß, dass wir irgendwann eine Familie planen möchten. Es hat mich schockiert zu sehen, wie schlecht Selbstständige abgesichert sind. Ich finde, darüber muss offen gesprochen werden, auch um anderen Frauen zu helfen, sich vorzubereiten.«
Wie haben Sie sich bisher informiert?
Lisa Schlereth:
»Ich habe mich bei meiner Krankenkasse erkundigt und festgestellt, dass ich keinen Anspruch auf Mutterschaftsgeld habe, weil ich keine Zusatzversicherung abgeschlossen hatte. Die Information, dass man das extra versichern muss, bekommt man leider nicht automatisch. Zudem wurde mir in Beratungsstellen oft erklärt, wie es für Angestellte läuft, aber kaum, was für Selbstständige gilt. Es gibt keine einheitlichen Informationen, und vieles muss man sich selbst zusammensuchen. Das kostet Zeit und Energie.«
Wie schätzen Sie Ihre berufliche Situation im Falle einer Schwangerschaft ein?
Lisa Schlereth:
»Ich würde versuchen, so lange wie möglich zu arbeiten und nach der Geburt schrittweise wieder einzusteigen. Das ist in unserem Betrieb möglich, weil wir zwei Inhaberinnen sind. Alleine wäre das viel schwieriger, schon aus wirtschaftlichen Gründen.«
Welche Rolle spielt die finanzielle Absicherung dabei?
Lisa Schlereth:
»Eine Schwangerschaft bedeutet automatisch Einkommensverlust. Ich möchte nicht in finanzielle Abhängigkeit geraten, sondern selbstständig bleiben. Deshalb habe ich mit meiner Geschäftspartnerin vertraglich geregelt, dass ich im Falle einer längeren Auszeit begrenzt weiterbezahlt würde.«
»Es braucht eine Kultur, in der Selbstständige mit Kindern nicht als Ausnahme, sondern als Normalität gesehen werden.«
Lisa Schlereth
Wie bewerten Sie Modelle wie Betriebshilfe oder durch einen umlagefinanzierten Mutterschaftsausgleich?
Lisa Schlereth:
»Eine Betriebshilfe wäre für uns im jetzigen Modell nicht nötig, da wir zu zweit sind. Aber für Solo-Selbstständige kann das eine gute Lösung sein – wenn die Einarbeitung funktioniert. Eine Umlagefinanzierung halte ich grundsätzlich für fair, wenn der Beitrag überschaubar bleibt.«
Würden Sie sagen, dass die gemeinsame Betriebsführung den Betrieb familienfreundlicher macht?
Lisa Schlereth:
»Ja, auf jeden Fall. Wir können uns gegenseitig vertreten und Entscheidungen gemeinsam treffen. Das ist ein Vorteil, den viele Selbstständige im Handwerk nicht haben. Allein wäre die Verantwortung zu groß.«
Was wünschen Sie sich von Handwerkskammern und Krankenkassen?
Lisa Schlereth:
»Mehr Aufklärung und zwar frühzeitig. Es wäre hilfreich, wenn Informationen zu Versicherungen und Mutterschutz schon in der Meisterausbildung vermittelt würden. Außerdem sollten Beratungsstellen besser auf Selbstständige eingehen und nicht nur auf Angestellte.«
Welche strukturellen Veränderungen wären nötig, damit Selbstständigkeit und Familie besser vereinbar sind?
Lisa Schlereth:
»Es braucht verlässliche Absicherungssysteme, finanzielle Unterstützung in der Mutterschutzzeit und flexible Kinderbetreuung. Und vor allem: eine Kultur, in der Selbstständige mit Kindern nicht als Ausnahme, sondern als Normalität gesehen werden.«
Zur Person:
Lisa Schlereth, Hörakustikmeisterin und Mitinhaberin eines Fachbetriebs für Hörakustik Südwestfalen, ist eine von 1.000 selbstständigen Handwerkerinnen in Nordrhein-Westfalen, die an unserer Befragung zur Verbesserung der Rahmenbedingungen für selbständige Handwerkerinnen als (werdene) Mütter teilgenommen hat. Im Rahmen dieser Befragung stellte sie sich für ein weiterführendes Tiefeninterview zur Verfügung, das im Juni dieses Jahres geführt wurde.