Interview
Ohne Netz und doppelten Boden
»Die Verantwortung für Mitarbeitende, laufende Kosten und Kundenprojekte lässt sich nicht einfach pausieren.«
Carolin Roters, Tischlermeisterin und angehende Betriebsnachfolgerin aus Coesfeld
Carolin Roters ist Tischlermeisterin und arbeitet in der Tischlerei Heribert Roters, dem Familienbetrieb ihrer Eltern im Münsterland. Der Betrieb beschäftigt zehn Mitarbeitende, darunter Gesellen, Auszubildende und die Eltern der 31-Jährigen, die im Büro und in der Arbeitsvorbereitung tätig sind. Obwohl Frau Roters die Geschäftsführung faktisch bereits weitgehend übernommen hat, ist sie offiziell noch angestellt – aus einem bewussten Grund: Um im Falle einer Schwangerschaft Anspruch auf Mutterschutz und soziale Absicherung zu haben, bleibt ihr Vater vorerst formell Inhaber des Betriebs. Diese Konstellation beschreibt sie als Übergangslösung, die ihr einerseits Schutz bietet, sie andererseits aber auch in einer Abhängigkeit hält. Ihr Vater, der eigentlich in den Ruhestand gehen wollte, führt den Betrieb weiter, bis die rechtlichen Rahmenbedingungen für selbstständige Frauen verbessert sind. Für Frau Roters ist das ein Symbol für eine strukturelle Schieflage im System: Während angestellte Handwerkerinnen durch den Mutterschutz abgesichert sind, müssen selbstständige Frauen auf diesen Schutz verzichten, obwohl sie als Arbeitgeberinnen in die Umlage U2 einzahlen.
Carolin Roters engagiert sich daher in der Initiative „Mutterschutz für alle“ und ist bundesweit mit anderen betroffenen Unternehmerinnen vernetzt. Durch persönliche Kontakte zu anderen Selbstständigen erfuhr sie von den finanziellen und organisatorischen Schwierigkeiten, die viele Frauen im Handwerk während Schwangerschaft und Mutterschaft erleben. Langfristig wünscht sich Frau Roters, dass das Thema Mutterschutz für Selbstständige stärker in Ausbildung und Meisterschulen verankert wird. Eine frühe Aufklärung könne verhindern, dass junge Frauen unbewusst in eine prekäre Situation geraten. Darüber hinaus fordert sie von Politik und Kammern mehr Sichtbarkeit für Frauen im Handwerk – von einer gendergerechten Sprache auf Gesellenbriefen bis hin zu gezielten Netzwerken für Unternehmerinnen.
Warum haben Sie den Familienbetrieb noch nicht offiziell übernommen?
Carolin Roters:
»Ich bin zwar Tischlermeisterin, aber offiziell noch angestellt. Mein Vater ist weiterhin Betriebsinhaber, damit ich im Fall einer Schwangerschaft über den Mutterschutz abgesichert bin. Als Selbstständige hätte ich diese Sicherheit nicht. Das war für uns die vernünftigste Lösung.«
Wie stark beeinflussen diese Unsicherheiten Ihre Planung zur Familiengründung?
Carolin Roters:
»Sehr stark. Ich möchte Kinder, aber ich weiß, dass es ohne Absicherung schwierig wird. Die Verantwortung für Mitarbeitende, laufende Kosten und Kundenprojekte lässt sich nicht einfach pausieren. Das führt dazu, dass viele Frauen den Schritt in die Selbstständigkeit oder zur Familiengründung hinauszögern.«
Wie schätzen Sie die finanzielle Belastung während einer möglichen Mutterschutzphase ein?
Carolin Roters:
»Wenn ich nicht arbeite, habe ich keine Einnahmen. Die allgemeinen Betriebskosten laufen aber weiter. Je nach Betriebsgröße sind das viele tausende Euro im Monat. Vor einer Schwangerschaft so hohe Rücklagen aufzubauen, um diese Kosten begleichen zu können, ohne dass Zahlungen eingehen, stellt einen schnell vor sehr große Schwierigkeiten. Daher ist eine längere Mutterschutzphase kaum umsetzbar.«
»Es sollte selbstverständlich sein, dass auch Unternehmerinnen soziale Sicherheit genießen, so wie jede andere angestellte Frau auch.«
Carolin Roters
Wie bewerten Sie eine mögliche Betriebshilfe während Schwangerschaft oder Elternzeit?
Carolin Roters:
»Für mich wäre das schwer umsetzbar. Meine Aufgaben sind sehr individuell – Kalkulation, Verkauf, Kundenkontakt. Eine Einarbeitung würde länger dauern als der Einsatz selbst. Für handwerklich tätige Selbstständige ohne Büroverantwortung kann das aber durchaus eine sinnvolle Lösung sein.«
Welche Maßnahmen würden Sie sich von Politik und Kammern wünschen?
Carolin Roters:
»Es sollte verpflichtende Aufklärung geben – am besten schon in den Meisterschulen. Viele Frauen wissen gar nicht, dass sie als Selbstständige keinen Mutterschutz haben. Wenn man das früh erfährt, kann man sich vorbereiten oder bewusst für eine andere Lösung entscheiden.«
Wie erleben Sie die Situation von Frauen im Tischlerhandwerk?
Carolin Roters:
»Der Anteil der Frauen steigt, liegt aber weiterhin bei höchstens zehn bis fünfzehn Prozent. Es braucht mehr Sichtbarkeit und Anerkennung – auch durch kleine Gesten. Zum Beispiel sollte es selbstverständlich sein, Gesellinnenbriefe mit weiblicher Form auszustellen. Das wäre ein wichtiges Zeichen für Gleichberechtigung im Handwerk.«
Was wünschen Sie sich für die nächste Generation von Handwerkerinnen?
Carolin Roters:
»Ich wünsche mir, dass Selbstständigkeit und Mutterschaft gleichberechtigt möglich sind, ohne dass man sich zwischen Beruf und Familie entscheiden muss. Es sollte selbstverständlich sein, dass auch Unternehmerinnen soziale Sicherheit genießen, so wie jede andere angestellte Frau auch.«
Zur Person:
Carolin Roters, Tischlermeisterin aus Coesfeld, ist eine von 1.000 selbstständigen Handwerkerinnen in Nordrhein-Westfalen, die an unserer Befragung zur Verbesserung der Rahmenbedingungen für selbständige Handwerkerinnen als (werdene) Mütter teilgenommen hat. Im Rahmen dieser Befragung stellte sie sich für ein weiterführendes Tiefeninterview zur Verfügung, das im Juni dieses Jahres geführt wurde.