Interview
Selbstständigkeit und Familie
»Selbstständigkeit und Familie schließen sich nicht aus – aber wir brauchen Strukturen, die das möglich machen.«
Andrijana Matthei, Fotografin und Mutter aus Wuppertal
Als Frau Matthei 2022 schwanger wurde, befand sich auch die Fotobranche gerade im Aufholjahr nach der Corona-Pandemie. Gleichzeitig startete die Hochzeitssaison – die umsatzstärkste Zeit für viele Fotograf*innen. Finanzielle Zwänge und das fehlende Sicherheitsnetz führten dazu, dass sie bis kurz vor der Geburt weiterarbeitete. Um die langen, oft dreizehnstündigen Arbeitstage mit schwerer Ausrüstung zu bewältigen, engagierte sie eine Assistentin – selbstverständlich auf eigene Kosten. Trotz Unterstützung litt sie häufig unter Schmerzen und Erschöpfung. Während Angestellte in dieser Phase längst durch den Mutterschutz abgesichert wären, konnte sich die selbstständige Fotografin keine Pause leisten.
Auch nach der Geburt fühlte sich Andrijana Matthei mit der Bürokratie alleingelassen. Trotz einer bezahlten Elterngeldberatung kam es zu Rückforderungen, weil die Berechnungsgrundlage durch die Corona-Jahre verzerrt war. Heute arbeitet sie in Teilzeit angestellt und betreut als selbstständige Fotografin weiterhin ihre Stammkundschaft. Ihr Wunsch: mehr Information, Beratung und Wertschätzung für selbstständige Mütter.
Wie haben Sie Ihre Schwangerschaft als Selbstständige erlebt?
Andrijana Matthei: »Ich war mitten in der Hochzeitssaison – körperlich anstrengend, aber ich wollte meine Paare nicht im Stich lassen. Ich habe mir Assistentinnen gebucht und sie aus eigener Tasche bezahlt, weil ich wusste, dass ich die Ausrüstung nicht allein tragen kann. Das war teuer, aber mir war wichtig, meine Aufträge professionell zu erfüllen.«
Mussten Sie aus finanziellen Gründen so lange weiterarbeiten?
Andrijana Matthei: »Ja. Es gab keinen Mutterschutz für mich, keine Alternative. Mein Elterngeld wurde auf das Corona-Jahr berechnet, also auf ein sehr schwaches Einkommen. Hätte ich aufgehört zu arbeiten, hätte ich schlicht nichts gehabt, wovon ich hätte leben können.«
»Mutterschaft ist ein gesellschaftlicher Wert. Ich wünsche mir, dass das endlich verstanden wird.«
Andrijana Matthei
Gab es während der Schwangerschaft irgendeine Form von finanzieller Absicherung?
Andrijana Matthei: »Nein. Ich war privat versichert und wusste nicht, dass ich für Mutterschaftsleistungen eine spezielle Zusatzversicherung gebraucht hätte. Diese Information bekommt man leider nirgends. Am Ende hatte ich keinerlei Anspruch auf Mutterschaftsgeld oder Krankentagegeld.«
Wie verlief der Wiedereinstieg nach der Geburt?
Andrijana Matthei: »Nach sechs Monaten habe ich mit kleinen Aufträgen wieder angefangen. Oft habe ich meine Tochter einfach mitgenommen – sie war in der Trage, während ich Familien fotografierte. Später habe ich meine Arbeit stärker an unsere Familiensituation angepasst. Große Hochzeiten mache ich heute nicht mehr, weil ich nicht jedes Wochenende ohne mein Kind sein möchte.«
Welche strukturellen Probleme sehen Sie für selbstständige Mütter im Handwerk?
Andrijana Matthei: »Das größte Problem ist die fehlende Absicherung. Es gibt keinen Mutterschutz, keine Lohnfortzahlung und kaum Beratung. Selbstständige Frauen müssen sich alles selbst zusammensuchen – und viele erfahren zu spät, dass sie in bestimmten Fällen gar keinen Anspruch auf Leistungen haben.«
Was wünschen Sie sich von Kammern und Politik?
Andrijana Matthei: »Ich wünsche mir echte Beratung, nicht nur Mitgliedsbeiträge. Eine einfache Informationsmappe bei der Gewerbeanmeldung hätte mir schon viel geholfen.«
Welches Signal möchten Sie anderen selbstständigen Frauen geben?
Andrijana Matthei: »Selbstständigkeit und Familie schließen sich nicht aus – aber wir brauchen Strukturen, die das möglich machen.«
Zur Person:
Andrijana Matthei, selbstständige Fotografin aus Wuppertal und Mutter einer zweieinhalbjährigen Tochter, ist eine von 1.000 Handwerkerinnen in Nordrhein-Westfalen, die an unserer Befragung zur Verbesserung der Rahmenbedingungen für selbstständige Handwerkerinnen als (werdende) Mütter teilgenommen haben. Im Rahmen dieser Befragung stellte sie sich für ein vertiefendes Interview zur Verfügung, das im Juni dieses Jahres geführt wurde.